Der "Hannoversche Stein"


von Werner Schulte, Verm. Amtsrat a. D.


Wenn man von der Kreisstraße 275 von Fladderlohausen nach Gehrde kurz vor dem Gehöft Twelbeck dem Weg nach Dinklage folgt, steht nach ca. 560 m rechterhand an der Ecke eines kleinen Wäldchens ein mächtiger grauer Stein, versehen mit allerlei Zahlen und Buchstaben. In der Gegend ist er allgemein bekannt als "Hannoverscher Stein". Auf der Seite zum Weg hin ist ein großes H eingemeißelt, an der anderen Seite steht ein 0 mit der darunter stehenden Jahreszahl 1842. Auf der Kopffläche schließlich befindet sich die Zahl 133.


Was bedeutet nun dieser Stein? Er markiert die ehemalige Hoheitsgrenze (heute Kreisgrenze) zwischen dem Königreich Hannover und dem Großherzogtum Oldenburg. Dazu ein Blick zurück in die Geschichte.


Nach dem Ende der Napoleonischen Aera wurde 1815 auf dem Wiener Kongreß die territoriale Neuordnung Europas ausgehandelt. Auch das Oldenburger Grenzgebiet zu Hannover wurde im Artikel 33 der Kongreßakte neu geordnet. Zur Ausführung dieses Artikels schlossen am 4. Februar 1817 das Herzogtum Oldenburg und das Königreich Hannover einen „Territorial-Ausgleichungs- und Cessionsvertrag", mit dem die Jahrhunderte dauernden Hoheits- und Grenzstreitigkeiten in den gemischten Gebieten von Twistringen, Goldenstedt, Damme und Neuenkirchen bzw. Holdorf endgültig bereinigt wurden. In einem weiteren Grenzvertrag vom 13. Juni 1842 über die "Regulirung der Hoheitsgränze vom Hunteflusse bei Collenrade und Goldenstädt bis zum Fladder in der Herrlichkeit Dinklage" wurde die neue Grenze genau bis in alle Einzelheiten beschrieben, eine Grenzkarte angefertigt und beschlossen, die Grenze durch Hoheitsgrenzsteine zu vermarken. Die Vermarkungsarbeiten waren 1845 beendet. Die Hoheitsgrenzsteine waren 6 bis wenigstens 4 Fuß lang (1,80 - 1,20 m), auf der Oldenburger Seite mit dem Buchstaben O und auf der Hannoverschen Seite mit dem Buchstaben H und der untergefaßten Jahreszahl 1842 versehen. In die Kopffläche wurde die Nummer des Steines eingemeißelt. Auf der gesamten Grenzstrecke sind an den wichtigsten Punkten 135 Hoheitsgrenzsteine gesetzt worden. Wo das Gelände es erlaubte, wurden auch in einigen Fällen zur besseren Kenntlichmachung gemeinschaftlich Grenzgräben ausgeworfen. In der Folgezeit sind dann regelmäßig alle 5-7 Jahre von den beiderseits angrenzenden Ämtern sogenannte Schnatgänge unternommen worden. In einem Protokoll wurde festgehalten, ob die Hoheitsgrenzsteine sich in ihrer richtigen Lage befanden, ob sie beschädigt oder versetzt waren und welche Arbeiten unternommen werden mußten, um die Differenzen zu beseitigen. ,


Die Schnatgänge wurden bis 1910 durchgeführt. Im ersten Weltkrieg, wo man wohl wichtigere Hoheitsgrenzen zu verteidigen hatte, wie auch in der nachfolgenden Zeit sind keine Protokolle mehr über gemeinsame Schnatgänge zu finden.


Bei dem hier behandelten Hoheitsgrenzstein Nr. 133 steht im Handbuch der Hoheitsgrenze als letzte Eintragung der Revisionsvermerk vom 25. September 1907: Nichts zu bemerken. Auch in den vorhergehenden Jahren hatte es nie Anlaß zu Beanstandungen gegeben. Viele andere Steine hatten ein bewegteres Leben. Sie wurden zerbrochen, versetzt, entwendet, umgeworfen usw., einige Steine sogar mehrmals. Da kamen wohl bei den Übeltätern die tief im Innern immer noch schlummernden, Jahrhunderte alten Grenzstreitigkeiten und dadurch bedingte nachbarliche Feindschaften wieder zum Durchbruch. Die Grönloher und Fladderlohausener Bauern hingegen haben den "Hannoverschen Stein" immer respektiert, sodaß er heute noch genau so da steht, wo er 1842 gesetzt worden ist.


Hoheitsgrenzsteine haben eine historische (und natürlich aktuelle) Bedeutung. Sie gelten als Kulturdenkmale und sind durch das Denkmalschutzgesetz geschützt. Auch wenn sie irgendwo durch Bau- oder Erdarbeiten herausgerissen gefunden werden, verbleiben sie im Landeseigentum. Sie sind keine Souvenirs für Sammler, sondern jeder Fund ist dem Katasteramt oder der Unteren Denkmalschutzbehörde beim Kreisamt anzuzeigen.