Sitten und Gebräuche aus dem Raum Badbergen


von Heinrich Thesfeld


Sylvester


Sylvester ist wohl für Jung und Alt der an Späßen und Erlebnissen reichste Tag des ganzen Jahres, besonders für die Kinder, die ihre Freude an dem sogenannten "Bökern" haben. Schon an den Tagen nach Weihnachten beginnen sie mit dem Schreiben der Neujahrsbriefe, die alle mit der Überschrift „Viel Glück zum Neuen Jahr“ anfangen und in ihrem Inhalt den Hausbewohnern alles Gute für das kommende Jahr wünschen. Am Sylvestertage nun, schon bald nach Mittag, gehen sie, mit einem leichten Holzhammer, genannt "Böker", ausgerüstet, und den Briefen in der Tasche, in der nahen und auch weiteren Nachbarschaft von Haus zu Haus und klopfen an. Sobald sich die Tür öffnet, laufen sie weg und werden dann von den Bewohnern gefangen. Als Belohnung für den abgegebenen Brief gibt es Plätzchen, Süßigkeiten und zu trinken. Einen besonderen Spaß finden sie darin, vor dem Bökern die Tür zuzubinden, so daß die Bewohner eine Hintertür oder gar die Stallklappe benutzen müssen, um ins Freie zu gelangen. Da wohl 15 bis 20 Haushaltungen aufgesucht werden, dauert das Bökern oft bis in die späten Abendstunden. Dieser sehr alte Brauch wird auch heute noch von allen Bewohnern unserer Region gerne mitgetragen. Hoffentlich bleibt er uns noch recht lange erhalten!



Was für die Kinder das Bökern, war für die ledige Jugend das "Umziehen". Hierzu galt es, sich möglichst komisch und originell zu verkleiden. Benutzt wurden alte Anzüge, Uniformen, Kleider, oder aber auch "selbstentworfene Kleidung". Hierzu kam eine Maske, um möglichst unerkannt zu bleiben. In dieser Aufmachung gingen die jungen Leute von Haus zu Haus und baten durch Anklopfen und mit verstellter Stimme um Einlaß. Von den Bewohnern wurde Schnaps angeboten. Nach den Klängen einer mitgebrachten Zieh- oder Mundharmonika wurde getanzt, und nach etwa 20 Minuten ging es weiter zum nächsten Haus. Das alles wird heute leider nicht mehr gemacht und ist schon fast in Vergessenheit geraten. Aber auch die Senioren wollten an diesem Abend nicht auf ihren Spaß verzichten. So traf sich die ganze Nachbarschaft bei einer Familie zum sogenannten "Klönschnack" und zum Kartenspiel. Auch von ihnen wurde der Jahreswechsel bei Glühwein und Grog zünftig gefeiert.



- Als vor 1939 das "Heilige-Drei-Königsfest" noch gesetzlicher Feiertag war, wiederholte sich all' dies am Tage zuvor, also am 5. Januar.



Ostern



Dem Osterfest voraus geht die Karwoche mit Gründonnerstag und Karfreitag. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts hatten die Dienstboten der Hofbesitzer, Knechte und Mägde genannt, vormittags von 9-12 Uhr dienstfrei, um am Gottesdienst teilnehmen zu können. Von den Mädchen, "hübsch und sittsam" wie sie waren, wurde das auch beherzigt, während die jungen Männer sich lieber dem Kiebitzeiersuchen zuwandten. Das Problem bestand nun darin, sich nicht vom Dienstherrn erwischen zu lassen und einer handfesten Standpauke aus dem Wege zu gehen. - Das Osterfest mit dem Ostereiersuchen am Sonntag ist gewiß für die Kinder ein riesiger Spaß. Schon am Samstag werden die Osternester aus weichem Moos hergerichtet, um am nächsten Morgen die große Überraschtung zu erleben. Doch für manchen 6jährigen fiel zu der Zeit, als die Einschulung noch gleich nach den Osterferien erfolgte, ein kleiner Schatten auf dieses Ereignis. Denn wer von ihnen hatte nicht ein wenig Angst vor dem ersten Schultag? Jedoch erwies sich auch das bald als völlig unbegründet. Damals hatte noch jede Landgemeinde ihre eigene Schule, und es war so, daß sich die Schulkinder gegenseitig abholten oder trafen, um gemeinsam zu Fuß, mit Holzschuhen als Fußbekleidung, den Schulweg anzutreten. So verloren auch die "i-Männchen" bald ihre Scheu und reihten sich in die Gemeinschaft ein. Als Schulweg wurde immer die kürzeste Entfernung gewählt. So waren es nicht etwa Straßen und öffentliche Wege, sondern oft nur Fußpfade durch Wälder und Felder. Für die Kinder ein Vergnügen, denn hier konnte viel mehr Spiel und Kurzweil getrieben werden als heute.



Pfingsten



Ein Fest in der schönsten Zeit des Jahres. Es ist Frühling, alles wächst und blüht. Der Sommer steht vor der Tür. So zählt es zu den alten Bräuchen, zu diesem Fest die Hofeinfahrten und Dielentore mit frischem Birkengrün zu schmücken. Leider werden Höfe und Häuser im Pfingstschmuck immer seltener - wahrscheinlich gehört auch diese alte Sitte bald der Vergangenheit an wie so vieles Schöne.



Hier noch eine alte Bauernregel: "Et gat kin Pfingsten in't Land off daor is'n Roggenöhr bekannt". Zu Hochdeutsch: "Es kommt kein Pfingstfest ins Land oder es ist eine Roggenähre bekannt“.



Weihnachten



Von jeher und immer noch das Fest mit dem Tannenbaum als Symbol und das Fest des Schenkens. Trotzdem mag sich in der Art, es zu feiern, manches geändert haben. Während heute Geschenke und Weihnachtsgebäck gekauft werden, haben die Leute vor Jahren, und nicht zuletzt aus Gründen der Sparsamkeit, vieles selber hergestellt. Zur alten Tradition gehörte z. B. das Hörnchenbacken, "Jahrkuchen" genannt. Nicht immer hat es die heute dafür vorhandenen Geräte gegeben. Damals benutzte man das sogenannte"Jahrkucheneisen". Dies war ein aus Gußeisen hergestelltes scherenartiges Gerät, mit zwei verzierten Tellern versehen, in die der Teig gegeben und zusammengedrückt wurde. Das Eisen hielt man dann bis zur Garung des Teiges in offenes Feuer: ein mühselig herzustellendes aber wohlschmeckendes Gebäck. - Auch manches Schaukelpferd und manche Puppe wurden von den Eltern selbst gebastelt. Über selbstgestrickte Strümpfe und Handschuhe freute man sich vielleicht mehr als heute über manche teuere, hochmoderne Sache. Wenn auch der Tannenbaum nicht vom Gärtner kam, so gab es trotzdem leuchtende Kinderaugen.



Feldarbeit


Diese galt und gilt auch heute noch als schwerste und vor allen Dingen zeitaufwendigste Arbeit. Daß es in der Tat so war, beweist die Zeit, bevor es Mähdrescher und Bindemäher gab. Das gesamte Getreide mußte von den Männern mit der Sichel geschnitten, die Garben mußten von den Frauen gebunden und zum Trocknen aufgestellt werden. In der Zeit des Heuerlingswesens wurde dies alles in, ich möchte es einmal Gemeinschaftsarbeit nennen, verrichtet. So waren oft wohl bis zu 10 Personen damit beschäftigt, ein Feld abzuernten. Klar ist, daß es dabei auch so manchen Spaß zu verzeichnen gab. In jedem Falle ging es darum, an Schnaps zu kommen, denn den hat man früher genauso gerne getrunken wie auch heute noch. So konnte es vorkommen, daß ein unachtsamer Mäher am Ackerrand ein paar Halme stehen ließ. Schnell war eine der Binderinnen zur Hand, um die Halme zusammenzuknoten und hindurchzukriechen. Glückte dieses - es war nicht immer der Fall - mußte der Betroffene eine Flasche Korn spendieren. Oder es wurde gewettet. Jemand mußte bei einem fast abgeernteten Feld die Sichel über das noch stehende Getreide werfen. Gelang es ihm, wurde der Herausforderer zur Kasse gebeten, beim mißglückten Wurf der"Werfer". Manchmal spielte auch das Schicksal übel mit, denn nicht immer überstand die Sichel den Fall in heilem Zustand. Der Schaden war dann doppelt: Schnaps und neue Sichel! Sobald das Getreide trocken war, wurde es mit pferdebespannten Leiterwagen eingefahren. Auch dabei konnten Unkosten entstehen, wenn z.B. jemandem beim Abladen mit irgendeinem Trick die Garbe samt Forke aus der Hand gezogen wurde, mußte gezahlt werden.



Im Herbst wurde dann mit dem Dreschen begonnen. Hierbei halfen sich die Nachbarn gegenseitig. Bevor es die vom Motor getriebene Dreschmaschine gab, wurde mit dem sogenannten Stiftdrescher gedroschen. Ein riesiger Fortschritt gegenüber dem in noch älteren Zeiten benutzten Flegel, dennoch aber ein mühseliges Beginnen, das sich fast über das Ganze Winterhalbjahr hinzog. Hier noch ein Wort zum "Stiftdrescher". Er bestand aus dem eigentlichen Drescher, ferner aus dem Schüttler, der die restlichen Körner aus dem Stroh schüttelte und dem Pferdegöpel, der, wie der Name schon sagt, von 3-4 Pferden gezogen wurde. In der Mitte des Göpels befand sich eine Holzplatte. Darauf stand der sogenannte Treiber, der die Pferde in Gang zu halten hatte. Da dieses Gerät draußen lag, war das bei etlichen Graden unter dem Gefrierpunkt sicher keine beneidenswerte Tätigkeit. So bedeutete dann die motorgetriebene Dreschmaschine wieder eine enorme Erleichterung. Es wurden zwar 15-20 Arbeitskräfte benötigt, um alle anfallenden Arbeiten bewältigen zu können, aber auch hier bewährte sich die nachbarliche Hilfeleistung wieder auf das Beste.



Hausschlachtung



Um die Ernährung der Familie für das ganze Jahr zu sichern, wurde im Winter, je nach Größe des Haushaltes, zwei- bis dreimal geschlachtet. Hierzu wurden der Hausschlachter und ein paar Nachbarn als Helfer bestellt. Meistens waren es Heuerleute, die diese recht einträgliche Tätigkeit nebenberuflich ausübten. Bei dieser Arbeit ging es oft auch sehr amüsant zu. So versuchte man, einen noch unkundigen Helfer auf den Weg zu schicken, um einen Augenbohrer zu besorgen, mit dem dem geschlachteten Tier die Augen entfernt werden sollten. Auf einen solchen Unsinn fiel sicher niemand zum zweiten Mal herein! Leider gehört die Tradition des Hausschlachtens auch mittlerweile der Vergangenheit an.



Hochzeit auf dem Lande



Bis noch vor ca. 30 Jahren war eine ländliche Hochzeit ein mindestens eine Woche andauerndes Spektakel, zu dem die Nachbarn und Verwandten eingeladen wurden. In früheren Zeiten erfolgte die Einladung vielerorts durch den sogenannten Hochzeitsbitter, der diese zu Pferde oder per Fahrrad überbrachte. Aber auch hier hat man längst den einfacheren Weg, nämlich die Post, gewählt. Damit nun das Hochzeitsfest im richtigen Licht erschien, wurden Haus und Hof, in dem ja alles stattfand, festlich hergerichtet. So sorgten die Nachbarn dafür, daß die Kränze gebunden und aufgehängt oder aufgestellt wurden. Diele und Hof schmeckte man mit Birkensträuchern aus. An dem dafür mit den Brautleuten vereinbarten Tag ging es dann besonders lautstark zu, denn es wurde kräftig geböllert. Zu der Zeit, als es noch Schwarzpulver zu kaufen gab, dienten hierzu die sogenannten Böller. Diese bestanden aus einem 7-8 cm starken Eisen, in das ein etwa 10 cm tiefes Loch gebort wurde. Die Ladung, bestehend aus Pulver und Papier, wurde fest in die Bohrung eingestampft und mittels einer Zündschnur oder Lunte - mit Petroleum getränkter Torf - gezündet. Es war ein etwas umständliches Beginnen, verfehlte aber fast nie die erwünschte Wirkung. Am Abend dieses Tages waren nach getaner Arbeit alle Helfer zum Feiern auf der Diele eingeladen. Es gab zu essen und zu trinken und nach den Klängen einer Ziehharmonika wurde bis in die Morgenstunden getanzt. Am Tage vor dem Fest ging es dann im Hause der Hochzeiter sehr geschäftig zu. Die Köchin traf die ersten Vorbereitungen. Die Nachbarsfrauen und die der eingeladenen Verwandten kamen zum sogenannten "Hühnersprung". Das bedeutete, daß jede Frau ein geschlachtetes Huhn für die Hochzeitssuppe brachte. Nach dem Kaffeetrinken, das gehörte natürlich dazu, wurde kräftig gearbeitet. Hühner rupfen, Kartoffeln schälen und erzählen, erzählen... . Am Hochzeitsmorgen, gegen 5 Uhr, wurde das Brautpaar von den Nachbarn durch Böllerschüsse geweckt. Diese wurden dann zum Umtrunk und zum Frühstück eingeladen. In den späten Vormittagsstunden ging es per Kutsche zur Trauung, die meistens zwischen 12 und 13 Uhr stattfand, um gegen 14 Uhr mit den Gästen zum gemeinsamen Mittagessen zur Stelle sein zu können. Nach einer kurzen Verdauungspause wurde dann Aufstellung zum sogenannten Rütertanz genommen. Hierzu hatten die Nachbarn das Brautpaar und die Gäste schon einige Tage vor der Hochzeit eingeladen. So machte sich die ganze Hochzeitsgesellschaft, allen voran die Nachbarn, mit einem Birkenzweig ausgerüstet, dann die Blaskapelle, gefolgt vom Brautpaar, Trauzeugen und Gästen auf den Weg zum ersten Nachbarn, der, wie alle anderen auch, Haus und Hof zu diesem Empfang festlich hergerichtet hatte.



Es wurde zu Kaffee und Butterkuchen eingeladen, während auf der Diele getanzt und reichlich Schnaps und Bier gereicht wurde. Nach etwa 1 1/2 Stunden wurde zum nächsten Nachbarn übergewechselt. Der ganze Umzug dauerte bis ca. 23 Uhr. Alsdann fanden sich alle zum Nachtmahl im Hochzeitshause ein. Danach folgte meistens eine etwas träge Zeit, die es möglichst schnell zu überwinden galt, denn es sollte ja bis in den frühen Morgen hinein gefeiert werden.



Kindtaufe



Nachdem nun von der Hochzeit die Rede war, liegt es ja nahe, daß auch bald von der Geburt eines kleinen Erdenbürgers gesprochen wird. Dies frohe Ereignis wurde den Nachbarn und Verwandten alsbald vom Vater oder einem anderen Familienangehörigen durch persönliches Erscheinen kundgetan. Danach kamen dann die Frauen zum sogenannten "Pusten". Woher dieser Ausdruck stammt und was er richtig bedeutet, weiß niemand so recht zu sagen. Auf jeden Fall aber war es ein Besuch, der in erster Linie Mutter und Kind galt. Als Geschenk wurde Kaffee, Zucker und Zwieback mitgebracht. Über die Taufe des Sprößlings, die ja bald nach der Geburt stattfand, sei noch folgendes berichtet: Es wurden zwei Paten auserwählt und eingeladen, die zusammen mit Mutter, Kind und Hebamme per Kutsche zur Kirche fuhren. Nach dem feierlichen Akt der Taufe wurden in einem Gasthaus Kaffee und ein paar - "oder vielleicht auch ein paar mehr" - Schnäpse getrunken. Schon mit etwas Übermut ging es auf die Heimreise. Stand nun der Vater bei der Ankunft der Gesellschaft nicht mit der Flasche in der Hand zum Empfang parat, wurde auf der Stelle gewendet und auf dessen Kosten im nächsten Gasthaus getrunken. Beim zweiten Anlauf klappte es dann bestimmt, dafür sorgte gewiß schon der Sprößling. Den für dieses Fest unentbehrlichen Weggen spendierten die Paten.